Homo ludens

oder

Was ich mag

Ich wuchs inmitten von Drahtresten auf. Mein Vater war Fernmeldebeamter. Wir mussten die Dienstwohnung im Telegraphenamt nehmen, ein Haus mit vielen Fräuleins, die Verbindungen in alle Welt steckten, Fernmeldemonteuren, die nach Schweiß, Bier und Zigarettenrauch rochen und eben sackweise Drahtresten. Was oben aus den Säcken heraus lugte durfte ich benutzen, und so wickelte, bog und knotete ich, was mir in den Sinn kam, und was ich brauchte. Die Drähte waren schön bunt umhüllt, manchmal aber isolierte ich sie ab, formte Gliedmaßen oder zumindest Ansätze dessen, und ein freundlich gesinnter Monteur überzog und verband sie mit Lötzinn. So entstanden Tiere und andere wilde Gestalten. Meine ersten eigenen Lötversuche endeten mit Löchern in den Hosen und Brandblasen an den Händen. Es ist nicht einfach mit der Kunst.
Später vergaß ich das Ganze und hatte auch andere Leidenschaften. Außerdem waren wir in eine feinere Gegend umgezogen, das alte Telegraphenamt wurde ersetzt und Fräuleins, schwitzende Monteure und Kabelsäcke entschwanden aus meinem Blickfeld.
Zurück zum Gestalten kam ich übers Theater. Von der anfänglichen Arbeit als Regieassistent floh ich immer mehr zum Bühnenbild, koordinierte und arbeitete mit am Spielstättenaufbau in alten Fabrikhallen und schuf meine erste Maschinenskulptur fürs Kindertheater, eine Wunschmaschine.
Mich zog es wieder zum Stofflichen, zum Material Metall hin. In mir formulierte sich der Wunsch Geschichten zu erzählen, aber nicht in der großen umfassenden Gestalt eines Gesamtwerks, sondern im kleineren abgesteckten Rahmen einer Figur oder Form.
Doch Metall ist ein zäher Gegner. Ich begab mich auf den Weg der Alphabetisierung – bevor man Geschichten schreiben will muss man die Buchstaben kennen – lernte und brachte mir das Handwerk bei, arbeitete in Schlossereien und habe mit Glück mein jetziges Atelier, die Dorfschmiede in Rennau gefunden.
Die Kunst bekam ein Daheim: 1996 entstand die EisenKunst&KulturWerkstatt.
Hier findet der Dialog mit dem Material statt, bestehende Formen werden in andere Zusammenhänge gesetzt, werden umgeformt, zerschnitten, zusammengebaut und neu interpretiert. Zu statischen Elementen kommen bewegliche, immer aber sind es Geschichten, die dem Ganzen innewohnen. Es ist die eigene erlebte oder erfundene Welt, oder die Phantasie, weiter Spielen zu können. Es ist auch der Reiz des Materials an sich, das widerspenstig und in der Wärme so gefügige, das herrlich glänzt und herrlich rostend vernarbt, das lieb und böse zugleich sein kann.
Meine Kabelsäcke von heute sind das Reservoir der Hinterlassenschaft des alten Schmieds, die Lager der Eisenhändler und Schrottplätze.
Und ich belebe wieder Metall.

https://www.youtube.com/watch?v=3GdySbJxF4E